Pressemitteilung Nr. 5 / 1996 vom 08.02.1996

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EX-KUNSTSCHUTZOFFIZIER BESUCHT ALTE WIRKUNGSSTÄTTE IM MUSEUM WIESBADEN

Kunstministerin Hohmann-Dennhardt dankt Walter Farmer für "Wiesbadener Manifest" von 1945


WIESBADEN - Auf Einladung der Hessischen Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Dr. Christine
Hohmann-Dennhardt, kam der einstige US-Captain Walter Farmer an den Ort seines Wirkens von vor
50 Jahren zurück. Als ehemaliger Kunstschutzoffizier war es dem heute 85-jährigen zusammen mit
weiteren rund 30 Kollegen mit Hilfe des "Wiesbadener Manifestes" gelungen, mehr als 200
unschätzbar wertvolle Kunstwerke, die schon in die USA transportiert worden waren, nach
Deutschland zurückzuholen. Dazu zählten Gemälde wie beispielsweise Lucas Cranachs "Ruhe auf der
Flucht", Rembrandts "Mann mit dem Goldhelm" und Botticellis "Madonna mit den Engeln". Tizians
"Venus mit den Orgelspielern" findet sich in der Inventarliste genauso wie Dürers "Madonna mit dem
Zeisig". Andere Prachtstücke wie der Welfenschatz und die von den US-Soldaten als "bunte Königin"
betitelte Nofretete machten die Reise nicht mit. Sie blieben bis zu ihrem erneuten Umzug nach Berlin im
Museum Wiesbaden.

Für sein damaliges Wirken wird Walter Farmer jetzt das Große Bundesverdienstkreuz verliehen. Am
Freitag überreicht Außenminister Kinkel in Bonn die Ehrung. Aus diesem Anlaß hat die hessische
Kunstministerin Hohmann-Dennhardt Walter Farmer nach Wiesbaden eingeladen und mit ihm
zusammen das Museum Wiesbaden, einem der damaligen vier sogenannten Central Collecting Points,
dem Farmer als Direktor vorstand, besucht. Ministerin Hohmann-Dennhardt dankte ihm herzlich für
seine "unschätzbaren Verdienste um die Sicherung und Rückführung der Kunstschätze nach dem
Zweiten Weltkrieg nach Deutschland". Dem Besuch des Museums Wiesbaden schloß sich eine
Einladung zu einem Essen an Walter Farmer, seine Tochter sowie einem kleinen Kreis von Freunden
und Personen des kulturellen Lebens aus Hessen an.

Neben dem Collecting Point Wiesbaden unter der Leitung Farmers gab es weitere in München,
Marburg und Offenbach. Mitte Juni 1945 bezog der damals 34-jährige gerade zum
Kunstschutz-Captain (Hauptmann) ernannte Farmer das Museum und richtete in wenigen Wochen 75
Räume des Hauses wieder so her, daß die Kunstwerke aus dem gesamten Gebiet des ehemaligen
Deutschen Reiches dort untergebracht werden konnten. Ab dem 20. August 1945 kamen
lastwagenweise Bilder, Skulpturen, Mappen, Teppiche und andere Kunstschätze in Wiesbaden an.
Walter Farmer schätzte zum damaligen Zeitpunkt den Wert der Kunstschätze auf rund 50 Millionen
Dollar. Geplant war, daß im Gegensatz zur Praxis der Sowjetunion, die in den sichergestellten
Kunstwerken Kriegsgut und damit "Beutekunst" sah und in die UDSSR abtransportierte, daß die
Amerikaner die gesammelten Kunstschätze ihren rechtmäßigen Eigentümern zurückgeben würden.

Anfang November 1945 erließ Dwight D. Eisenhower den Befehl, eine Auswahl von mindestens 200
Kunstwerken "allerersten Ranges" zusammenzustellen und diese in die Vereinigten Staaten zu
verbringen. Dies ließ Walter Farmer nicht unwidersprochen. Um einen Transport der Kunstschätze in
die USA zu verhindern, verfaßte er zusammen mit anderen Kunstschutzoffizieren das sogenannte
"Wiesbadener Manifest". Darin hieß es unter anderem: "Wir möchten darauf hinweisen, daß unseres
Wissens keine historische Kränkung so langlebig ist und soviel gerechtfertigte Verbitterung hervorruft,
wie die aus welchem Grunde auch immer erfolgende Wegnahme eines Teils des kulturellen Erbes
einer Nation." Gleichwohl blieb der Befehl aufrechterhalten und die im Wiesbadener Museum
ausgewählten 202 Gemälde wurden verpackt, in beheizten Lazarettwaggons nach Le Havre verbracht
und von dort aus nach New York verschifft, wo sie am 6. Dezember 1945 eintrafen. Im Februar 1948
veranstaltete die Washingtoner National Gallery mit diesen Kunstwerken eine sensationelle
Ausstellung. Zeitgleich organisierte der kunstbegeisterte Captain Farmer mit den verbliebenen
Kunstschätzen Ausstellungen im Wiesbadener Museum. Die dort vorgestellten Kunstwerke waren noch
immer sensationell. Namen wie Botticelli, Fra Angelico, Raphael, Tintoretto, Rembrandt, aber auch
Dürer, Cranach und Werke von Riemenschneider finden sich in den gedruckten Kataloglisten der
damaligen Ausstellungen.

Doch der Geist des "Wiesbadener Manifest" erwies sich als überzeugend und durchsetzungsfähig. Auf
Weisung des neuen amerikanischen Präsidenten Harry S. Truman wurden die 202 Kunstwerke in zwei
Raten im Herbst 1948 und im Herbst 1949 wieder nach Deutschland zurückgebracht. Die Bilder und
die anderen Kunstwerke sind heute in den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz in Berlin zu
besichtigen.

Anlage: "Wiesbadener Manifest" vom 7. November 1945

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