Pressemitteilung Nr. 112 / 1999 vom 08.11.1999

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Lise-Meitner-Preis erstmals an zwei junge Wissenschaftlerinnen

Wissenschaftsministerin Ruth Wagner: Immer noch zu wenig Frauen auf LehrstĂŒhlen der Hochschulen

Wiesbaden - Den Lise-Meitner-Preis zur Förderung des weiblichen Nachwuchses in den Natur- und Ingenieurwissenschaften in Hessen erhalten in diesem Jahr erstmals zwei junge Wissenschaftlerinnen. Ruth Wagner, die Hessische Ministerin fĂŒr Wissenschaft und Kunst, ĂŒberreichte den mit insgesamt 20 000 Mark dotierten, 1993 ins Leben gerufenen und alle zwei Jahre vergebenen Preis Ihres Hauses nach dem Votum einer Fachjury an Dr. Susanne Arnold von der Philipps-UniversitĂ€t Marburg und Dr. Kerstin E. Schmidt von der Johann Wolfgang Goethe-UniversitĂ€t Frankfurt am Main.
Dabei stellte die Ministerin fest, dass es unter den Studierenden inzwischen fast genauso viele Frauen wie MĂ€nner gebe, dass auf den LehrstĂŒhlen aber nach wie vor eine große Ungleichheit zum Nachteil der Frauen zu konstatieren sei. Die Ministerin will deshalb die Förderung des weiblichen Wissenschaftsnachwuchses weiter stĂ€rken.
Die EinfĂŒhrung nach verbindlichen Quoten zur Erhöhung des Frauenanteils beim wissenschaftlichen Personal lehnte sie allerdings ab. Ruth Wagner: "Die rein quantitative Gleichstellung der Geschlechtergruppen ist in vielen FĂ€llen noch kein Beleg fĂŒr reale Chancengleichheit." Das gesellschaftliche Bewusstsein lasse sich nicht durch Verordnungen Ă€ndern, sondern nur durch eine konstruktive Kooperation zwischen Frauen und MĂ€nnern.
An den Hochschulen in Deutschland finde derzeit ein umfassender Generationenwechsel statt. Diese Chance mĂŒsse genutzt werden, um den Frauenanteil an den Professuren zu steigern. Dies könne nicht ĂŒber Quoten erreicht werden, sondern mĂŒsse ĂŒber StrukturverĂ€nderungen geschehen, sagte die Ministerin. In der Empfehlung des Wissenschaftsrats im Hinblick auf Assistenzprofessuren sehe sie eine Möglichkeit, unabhĂ€ngig von persönlichen AbhĂ€ngigkeitsverhĂ€ltnissen eigenstĂ€ndig kreativ arbeiten zu können. Auch das in Hessen bisher nicht sehr ermutigend verlaufene Programm zur Förderung des Professorinnennachwuchses an den Fachhochschulen verdiene eine erneute Anstrengung, z.B. durch eine Intensivierung des Mentorinnennetzwerkes.
Die Feststellung, dass sich immer noch zu wenig Frauen fĂŒr ein Studium der Natur- und Ingenieurwissenschaften und der Informatik entschieden, könne nicht dauerhaft hingenommen werden. Die höheren Quoten in SĂŒd- und SĂŒdosteuropa zeigten, dass die niedrigen Anteile in Deutschland keineswegs naturgegeben seien. Vielmehr sei wohl in diesen LĂ€ndern die Arbeitsteilung von Familien- und Erziehungsarbeit sowie BerufstĂ€tigkeit zwischen MĂ€nnern und Frauen und meistens auch im Familienverband besser gelöst. Dazu gehöre aber auch eine bessere Förderung junger begabter Wissenschaftlerinnen durch ihre mĂ€nnlichen Professoren.
Gerade die Bewerbungen fĂŒr den Lise-Meitner-Preis und nicht zuletzt die exzellenten Arbeiten der beiden PreistrĂ€gerinnen zeigten, dass es mit dem weiblichen wissenschaftlichen Nachwuchs in Hessen so schlecht nicht stehe. Ruth Wagner: "Über ihre persönliche Leistung hinaus machen uns Dr. Susanne Arnold und Dr. Kerstin Schmidt Mut und spornen uns an, die Förderung des weiblichen Nachwuchses in der Wissenschaft noch weiter auszubauen."
Dr. Susanne Arnold, die eine der beiden diesjÀhrigen PreistrÀgerinnen, wurde 1971 in Magdeburg geboren und studierte an der Lomonossow-UniversitÀt Moskau Biochemie mit dem Abschluss Biochemikerin. Danach erwarb sie an der Staatlichen Linguistischen UniversitÀt Moskau ein Dolmetscherdiplom. Von 1994 bis 1996 war sie Stipendiatin des Graduiertenkollegs "Enzymchemie" an der Philipp-UniversitÀt Marburg, danach wissenschaftliche Mitarbeiterin. Ende 1997 promovierte sie mit dem PrÀdikat "ausgezeichnet" in Marburg. Seit September forscht sie an der Harvard Medical School, Children`s Hospital am Howard Hughes Medical Institute in Boston.
In ihrer mit dem Lise-Meitner-Preis 1999 gewĂŒrdigten Dissertation "Die Struktur der Cytochrom c Oxidase verschiedener Vertebraten sowie deren Regulation durch Thyreoidhormone und den Energiespiegel der Zelle" spannt sie den Bogen vom molekularen Aufbau belebter Materie bis hin zum am ganzen Menschen wahrnehmbaren Ausdruck der zu Grunde liegenden chemischen VorgĂ€nge. Sie hat dabei wesentliche Erkenntnisse ĂŒber den Mechanismus der Kurzzeitwirkung bestimmter Hormone und seines Effekts auf die Zellatmung und den Grundumsatz höherer Tiere bis hin zum Menschen aufgeklĂ€rt.
Dr. Kerstin E. Schmidt wurde 1971 in Limburg geboren und studierte an der Johann Wolfgang Goethe-UniversitĂ€t Frankfurt am Main Humanmedizin. 1993 begann sie ihre Promotion am Max-Planck-Institut fĂŒr Hirnforschung in Frankfurt und schloss sie 1997 ab. Famulaturen fĂŒhrten sie an die Massachussetts Eye and Ear Infirmary Boston, an die PĂ€diatrie des Frankfurter UniversitĂ€tsklinikums, an das Great Ormond Street Hospital for Sick Children in London und in eine HNO-Praxis nach Frankfurt. Ihr praktisches Jahr als Ärztin absolvierte sie an der Chirurgie und in der Klinik fĂŒr Augenheilkunde des UniversitĂ€sklinikums Frankfurt und am Hospital des Clinicas in Belo Horizonte, Brasilien.
In Ihrer mit dem Lise-Meitner-Preis 1999 prĂ€mierten Dissertation "Der Einfluss visueller Erfahrung auf die Entwicklung der funktionellen Architektur Thalamokortikaler und Intrakorikaler Verbindungen im Sehsystem von Katzen" beschreibt sie am Beispiel des Sehsystems der Katze den Einfluss der visuellen Erfahrung auf die postnatale Ausreifung der fĂŒr den Sehvorgang wichtigen Verbindungen des Gehirns. Die Ergebnisse ihrer Forschungen deuten darauf hin, dass in der Hirnrinde die "Orientierungskarten" genetisch angelegt sind.

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