Pressemitteilung Nr. 131 / 2004 vom 02.09.2004

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Genfer Kunstsammler Simon Spierer schenkt Hessischem Landesmuseum Darmstadt weltweit einzigartige Skulpturensammlung

Kunstminister Corts: 39 Kunstwerke der FrĂĽhen Moderne bis in die Gegenwart von KĂĽnstlern wie Constantin Brancusi, Alberto Giacometti, Max Ernst, Henry Moore, Barbara Hepworth . . .

Wiesbaden / Darmstadt – Der Hessische Minister für Wissenschaft und Kunst, Udo Corts, hat heute gemeinsam mit der Direktorin des Landesmuseums Darmstadt, Dr. Ina Busch, und dem Genfer Kunstsammler Simon Spierer eine Sensation für die internationale Museumsszene bekannt gegeben. Simon Spierer schenkt dem Hessischen Landesmuseum Darmstadt seine weltweit einzigartige Skulpturensammlung. Es handelt sich dabei um 39 Kunstwerke der Frühen Moderne bis in die Gegenwart – eine ganz einmalige Konzentration auf die Stele und den Torso in der Skulptur des 20. Jahrhunderts. Unter den Künstlern sind Namen wie Constantin Brancusi, Alberto Giacometti, Max Ernst, Henry Moore, Barbara Hepworth (siehe Anlage). „Eine Kollektion absoluter ‚Highlights’, ich kann es noch immer gar nicht fassen, dass es gelungen ist, die Sammlung nach Hessen zu holen“, sagte Corts. Spierer begründete seine Entscheidung heute mit den idealen Bedingungen im Landesmuseum: „Die für die Präsentation vorgesehenen Räume und die Atmosphäre finde ich phantastisch“. Museumsdirektorin Dr. Busch kündigte die zügige Umsetzung des Projekts an: „In zwölf Wochen sind die Vorarbeiten in den Sälen abgeschlossen und im Dezember kann wahrscheinlich schon die Eröffnung des „Waldes der Skulpturen sein“.

Portrait Simon Spierer, Kunstsammler

„Ein Leben ohne Kunst kann ich mir nicht vorstellen“. Dieses Resümee nach 78 Lebensjahren glaubt man Simon Spierer gern, wenn man ihn heute in seiner Genfer Wohnung inmitten seines „Waldes der Skulpturen“ lustwandeln sieht. Wenn er entspannt in seinem schmalen Ledersessel vor dem mächtigen schwarzen Bronzetubus von Kenneth Armitage sitzt. Für den er die Avenue vor der Haustür hatte absperren lassen, um den Kran aufstellen zu können, der die riesige Gartenskulptur in den sechsten Stock durchs Fenster seiner Wohnung hievte.
Das Leben für die Kunst glaubt man ihm, wenn der Italiener, der auch Schweizer ist, aus seiner lebendigen Vergangenheit erzählt. Von den ersten Gemälden, die er in den fünfziger Jahren sammelte, kaum, dass er das erste Geld verdient hatte. Bilder, die ihn faszinierten, die einen Ausgleich, einen Gegenpol, zum unruhigen Geschäftsalltag boten.

Auch der Handel mit Kunstwerken hatte ihn früh gereizt. Doch erkannte Spierer bald, dass diese Geschäfte weitaus weniger einträglicher waren, als der Handel mit profanen Gütern – etwa dem Tabak. Mit dem Kauf und Weiterverkauf von Rohtabak hat es Spierer zu Wohlstand gebracht. Bei Großhändlern in Virginia und in Südafrika hat er als junger Mann sein Geschäft gelernt. Auf die Frage, welche Länder der Erde er dann als internationaler Tabakhändler bereist habe, besinnt er sich nur kurz: „In Australien und in China war ich nicht.“
In den sechziger Jahren schon hatte er die finanzielle Basis geschaffen, um für sich und seine Lebensgefährtin, eine Kunsthändlerin aus Italien, in Genf eine Galerie einzurichten. Dreißig Jahre lang hatte Spierer fortan zwei Berufe, er handelte mit Bildern und Tabak. An seinem finanziellen Erfolg ließ er junge Künstler teilhaben. Er engagierte sich in der Künstlerkolonie von Boissano (zwischen Genua und San Remo). Dort sanierte er historische Häuser und stellte sie jungen Malern und Bildhauern als Arbeits- und Lebensraum zur Verfügung. Künstler und Mäzene lebten in Boissano nebeneinander, nahezu alle Ferien hat auch Spierer mit seiner Familie dort verlebt. Die „unvergessliche Periode“ nennt er diesen kreativen Zeitabschnitt, den Künstler aus aller Welt wie beispielsweise Andy Warhol mit geprägt haben.

Anfang der siebziger Jahre hatte Spierer seinen Freunden in der Künstlerkolonie vorgeschlagen, auch Warhol, der damals längst schon kein Unbekannter mehr war, zum Arbeiten nach Boissano zu holen. Er traf ihn in Paris und unterbreitete ihm das Angebot - das Warhol herablassend ablehnte: Nicht die High Society von Mailand und Genua interessiere ihn, sondern nur die Großen der heutigen Welt – vom Kaliber der Monroe oder Mao. Spierer hatte damals mit der gleichen Arroganz gekontert: Nur seine Hunde habe Warhol schließlich malen sollen, sagte er ihm im Gehen. Das habe dem Künstler wohl imponiert, meint Spierer, denn er korrigierte sich und sagte doch noch überraschend zu. In Boissano hat Warhol unter anderem - wie vereinbart - auch Spierers russische Windhunde porträtiert. Entgegen der Abmachung allerdings mit dem Gesicht des Auftraggebers zwischen den Köpfen der Tiere. Denn als Warhol die Hunde mit Blitzlicht fotografierte, hatte Spierer sie festhalten müssen - und in dieser Position hat er ihn später auch porträtiert. Das Porträt wird mit dem „Wald der Skulpturen“ in die Sammlung Spierer nach Darmstadt kommen.

Wie er zur Skulptur als Sammelobjekt gekommen sei? Das eher Ungewöhnliche daran habe ihn gereizt, sagt er. Bildersammler gebe es viele, private Skulpturensammler auf internationalem Niveau hingegen wenig. Und er habe gezielt darauf hingearbeitet, seine Sammlung einst einem renommierten Museum anzubieten, da habe er sich etwas Besonderes einfallen lassen müssen. So sei Anfang der achtziger Jahre die Idee seines „Waldes“ entstanden, mit überwiegend vertikal ausgerichteten Objekten. Ausgesucht habe er sie ganz nach persönlichem Eindruck „was mir gut gefallen hat“, den Anspruch eines Museumsdirektors auf akademisch fundierte Vollständigkeit habe er nicht gehegt. Mit zwei Ausnahmen: Die „Väter“ der Skulptur der Moderne, Brancusi und Gonzalez, die habe er unbedingt dabei haben wollen und ganz gezielt dazu gekauft.

Bezüge nach Hessen gibt es in Spierers Biografie bisher nicht. Im italienischen Triest ist er 1926 geboren worden. Dort hat er seine Jugend verbracht. 1943 übersiedelte der Siebzehnjährige in die Schweiz, um den Repressalien der Rechten zu entgehen. Die Familie blieb zurück – mit der Folge, dass seine Mutter und seine Schwester bis zum Kriegsende in ein Konzentrationslager verschleppt wurden. Aus Verbundenheit zu seiner italienischen Heimat hätte Spierer seine Sammlung gerne auch in Triest gesehen. Doch in Norditalien schienen ihm die angebotenen Räume wenig günstig und die bürokratischen Hürden unüberwindlich.

Eine reizvolle Perspektive hatte sich früh schon in Tel Aviv aufgetan, aber die Ärzte haben dem kranken Sammler das Fliegen verboten und so hätte er seinen „Wald der Skulpturen“ nicht wieder sehen können. Gleiches galt für das Angebot aus Schwerin, das ihm grundsätzlich sehr zugesagt hatte. Ernsthaft interessiert war ferner ein Museum im französischen Béziers, herrlich gelegen, aber für Spierers Geschmack ein wenig zu provinziell.

Lange Zeit schien der internationale Wettbewerb der Museen um die Sammlung zugunsten Baden-Badens auszugehen. Ein „Katzensprung“ von der Schweiz entfernt, aber die Stadtväter hatten Spierer lange hingehalten und sich zu einer Zusage nicht durchringen können.
Ganz im Gegensatz zu Darmstadt. Hier gab es vom Hessischen Landesmuseum schnell klare Vorschläge, die Spierer überzeugten. In voraussichtlich zwölf Wochen sollen die Vorbereitungsarbeiten für die Übernahme abgeschlossen sein. Dann steht dem Transport der 39 Skulpturen nach Darmstadt nichts mehr im Wege. Ob es dann in seiner Genfer Wohnung nicht unheimlich leer werde? Spierer lacht. Er wird einem befreundeten jungen Bildhauer das Angebot machen, seinen Lebensraum mit einer Vielzahl neuer Skulpturen zu schmücken.


KĂĽnstler und Werke (Auswahl)

Daniel Spoerri
Galati (Rumänien) 1930, lebt in Paris
L’icorne (Das Einhorn) - Bronze

Baltasar Lobo
Cerecinos de Campos (Spanien) 1910 ─ 1993 Cerecinos de Campos
Face au vent, 1977 - Bronze, grĂĽne Patina

Germaine Richier
Grans 1902 – 1959 Montpellier
Femme-forêt / Femme d’arborescente - Bronze

Julio González
Barcelona 1876 – 1942 Paris
Daphné, 1937 - Bronze
Guss: Godard und Valsuani

André Masson
Balagny-sur-Oise 1896 – 1987 Paris
Frauentorso, knieend - Metall, Glas

Fausto Melotti
Roverto Trento 1901 – 1986 Mailand
La barca, 1966 - Messing

Arnaldo Pomodoro
Morciano (Italien) 1926, lebt in Mailand
Asta cielare, 1978/80 - Bronze, Gold-Patina

Max Ernst
Brühl/bei Köln 1891 – 1976 Paris
La femme demi-tĂŞte - Bronze
Fonte post mortem par Susse Frères, Paris 1991

Lucio Fontana
Rosario, Santa Fé 1899 – 1968 Comabbia
Torso di cavallo - Bronze

Anthony Caro
New Malden 1924, lebt in London
Variations on an Indian Theme, Variation 6, 1985/86 - Bronze

CĂ©sar
Marseille 1921 – 1998 Paris
Nu de la Belle-de Mai, 1957 - Bronze

Hans / Jean Arp
StraĂźburg 1886 - 1966 Basel
Idole, 1950 - Bronze
Guss: Rudier 1957

Joannis Avramidis
Batum (Georgien) 1922, lebt in Wien
GroĂźe Figur II, 1963 - Bronze

Max Bill
Winterthur 1908 – 1994 Berlin
Unendliche Fläche in Form einer Säule, 1953 - Chromnickelstahl

Anthony Cragg
Liverpool 1949, lebt in Wuppertal
Liverpool Stop, 1985 - Installation (mixed media in 6 parts)

GĂĽnther Uecker
Wendorf 1930, lebt in DĂĽsseldorf
Struktursäule (Structure Column), 1959 - Holz, Nägel bemalt

Constantin Brancusi
Hobita (Rumänien) 1876 – 1957 Paris
Vogel im Raum, ca. 1941 - Bronze poliert, Sockel Marmor

Louise Bourgeois
Paris 1911, lebt in New York
Mortise, 1950 - Bronze bemalt

Barbara Hepworth
Wakefield/Yorkshire 1903 – 1975 Wakefield/Yorkshire
Shaft and circle, 1972 - Bronze

Alberto Giacometti
Borgonovo (Schweiz) 1901 – 1966 Zürich
Petit buste de Diego sur colonne, 1952
(Colonne fait par Diego) - Bronze, braun und grĂĽn patiniert

Isamu Noguchi
Los Angeles 1904 – 1988 New York
Messenger, 1972 - Edelstahl

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