Pressemitteilung Nr. 125 / 2005 vom 15.07.2005

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Land richtet Forschungsstelle JĂŒdische Studien in Frankfurt ein

Wissenschaftsminister Corts: Projekt geht ĂŒber bisherigen Radius der Judaistik hinaus

Wiesbaden – Das Land Hessen wird gemeinsam mit der Johann Wolfgang Goethe-UniversitĂ€t eine Forschungsstelle fĂŒr JĂŒdische Studien in Frankfurt einrichten. Das Fach Judaistik wird Bestandteil dieses Projekts, dessen Aufbau mit zusĂ€tzlichen Mitteln des Ministeriums fĂŒr Wissenschaft und Kunst gefördert werden soll. Es bleibt damit in Frankfurt. „Ich möchte, dass hier ein neuer Schwerpunkt entsteht, der weit ĂŒber den bisherigen Radius des Fachs Judaistik in Frankfurt hinausgeht“, sagte Wissenschaftsminister Udo Corts bei einer Pressekonferenz in Frankfurt. „Deswegen stelle ich auch die Mittel fĂŒr eine neu einzurichtende Juniorprofessur zur Erforschung der Geschichte des deutschen und europĂ€ischen Judentums bereit.“

In Zukunft soll sich die bisherige Judaistik-Professur mit der Martin-Buber-Professur fĂŒr JĂŒdische Religionsphilosophie und mit der genannten Juniorprofessur zusammenfinden zur Organisation neuer StudiengĂ€nge und zur besseren Nutzung des an der UniversitĂ€tsbibliothek Frankfurt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft eingerichteten Sondersammelgebiets „Judaica“. Die neue Forschungsstelle sollte darĂŒber hinaus auch mit dem in Frankfurt ansĂ€ssigen Fritz-Bauer-Institut fĂŒr Holocaustforschung und dem JĂŒdischen Museum kooperieren. Zur vorhandenen Professur fĂŒr Judaistik wird eine Stelle zur Koordination und Verwaltung der Forschungsstelle neu eingerichtet. ZusĂ€tzlich bekommt die Forschungsstelle eine einmalige Anschubfinanzierung in Höhe von 150.000 Euro. Alles in allem werden 650.000 Euro in das Projekt fließen: Schon 2006 stellt das Land 250.000 Euro bereit (150.000 Euro Anschubfinanzierung, 40.000 Euro Verwaltung der Forschungsstelle, 60.000 Euro Juniorprofessur) und in den folgenden vier Jahren dann jeweils 100.000 Euro. „Wir bauen damit ein Fundament, auf dem sich die neue Forschungsstelle fĂŒr JĂŒdische Studien und Holocaust-Forschung in Frankfurt gut entwickeln kann“, hob Corts hervor. Wenn das Fach Judaistik, dessen Verlagerung in das geplante Zentrum fĂŒr Orientwissenschaften in Marburg diskutiert wurde, in Frankfurt bleiben soll, muss es nach Auffassung des Ministers in einen wissenschaftlichen Forschungszusammenhang eingebettet werden, durch den es gestĂ€rkt und damit in seinem Bestand gesichert wird.

Die Option der Verlagerung nach Marburg war auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass alle bekannten Fachkommissionen der BundeslĂ€nder in ihren Empfehlungen den Zusammenhang der Judaistik mit Semitistik und Orientwissenschaften unterstĂŒtzen. So ist an den UniversitĂ€ten Freiburg, Halle, Heidelberg und MĂŒnchen das Fach jeweils den Orientwissenschaften zugeordnet. Die Studienordnung und die angebotenen Lehrveranstaltungen in Frankfurt zeigen auch, dass das Spektrum der Judaistik hier mit dem frĂŒhen Mittelalter abschließt und die Studierenden neben der Philosophie auf die Angebote der Orientwissenschaften hingewiesen werden. Wenn das Fach nun doch in Frankfurt bleibt, muss es in ein grĂ¶ĂŸeres Umfeld einbezogen werden, um ihm neue Wege und Möglichkeiten zu eröffnen. Denn bisher war es, soweit erkennbar, weder in die von der UniversitĂ€t Frankfurt eingerichteten Forschungsschwerpunkte „Religion im Dialog“ oder „Sprachwissenschaften“ eingebunden, noch wurden beispielsweise gemeinsame Veranstaltungen mit dem Fritz-Bauer-Institut angeboten. Auch war etwa die Geschichte der Frankfurter Juden bislang nicht Gegenstand der BeschĂ€ftigung.

Die Frage, wie die Zukunft der in ihrer Existenz bedrohten kleineren geisteswissenschaftlichen FĂ€cher in Zeiten knappen Geldes garantiert werden kann, ist Ausgangspunkt des Konzepts zur Bildung geisteswissenschaftlicher Zentren, das der Wissenschaftsminister in Abstimmung mit den PrĂ€sidenten der UniversitĂ€ten Frankfurt, Gießen und Marburg Ende Mai vorgeschlagen hatte. Denn die leistungsbezogene Budgetierung mit ihrer starken Orientierung an Studierendenzahlen fĂŒhrt an den UniversitĂ€ten Frankfurt, Gießen und Marburg zu Überlegungen, diese StudiengĂ€nge einzustellen, da sie als nicht „refinanzierbar“ angesehen werden. So wurde zum Beispiel schon 1998 in Marburg die Ägyptologie geschlossen. Jetzt gab es wieder durchaus konkrete Schließungsabsichten an den UniversitĂ€ten. „Als Wissenschaftsminister sehe ich meine Aufgabe aber nicht darin, die Bildungsmöglichkeiten im Land einzuschrĂ€nken, sondern ich will vielmehr das Bildungsland Hessen modernisieren und den Bestand des Angebots in Forschung und Lehre unter verĂ€nderten Rahmenbedingungen sichern“, sagte Corts. „Die Zentrenbildung ist nicht nur nach meiner Auffassung dazu ein geeignetes Mittel.“ An der UniversitĂ€t Frankfurt soll dem Konzept zufolge ein Zentrum fĂŒr Ostasienstudien, in Gießen ein Zentrum fĂŒr Osteuropaforschung und in Marburg ein Zentrum fĂŒr Orientforschung entstehen.

„Das Kernanliegen, alle kleineren FĂ€cher in Hessen zu erhalten, wenn auch nicht mehr an allen Standorten, hat in der bisherigen Diskussion eine breite Akzeptanz gefunden“, sagte Corts. „Kritische Stimmen zu den vorgeschlagenen Standorten beziehungsweise aus den zu verlagernden FĂ€chern habe ich erwartet, weil solche VorschlĂ€ge auch in der Vergangenheit immer schon zu Widerspruch gefĂŒhrt haben.“ Das dĂŒrfte auch der wesentliche Grund dafĂŒr sein, warum die Diskussion ĂŒber eine Schwerpunktbildung zwischen den UniversitĂ€ten selbst nicht vorangetrieben wurde. „Mir ist vollkommen klar, dass diese Zentrenbildung ein einschneidendes und gewichtiges Projekt ist, das in jeder Hinsicht mit Sorgfalt betrieben werden muss.“ Corts fĂŒgte hinzu, er werde deshalb die heute in seinem Ministerium eingegangenen Stellungnahmen der UniversitĂ€ten genau prĂŒfen, um spĂ€testens im Herbst die Entscheidungen zu treffen. „Denn eines ist sicher: Es muss und es wird eine Entscheidung des Wissenschaftsministers ĂŒber diese fĂŒr die kleineren FĂ€cher ĂŒberlebenswichtige Frage geben.“

Die Empfehlung, geisteswissenschaftliche Zentren zu bilden, hatte schon 1995 die seinerzeit vom Wissenschaftsministerium eingesetzte Hochschulstrukturkommission des Landes Hessen ausgesprochen. Die Zentrenbildung ist auch kein hessischer „Sonderweg“: Ein Expertengremium zum „QualitĂ€tspakt zwischen Landesregierung und Hochschulen“ im damals von SPD und GrĂŒnen regierten Nordrhein-Westfalen hat 2001 zur solcher „Kontextbildung“ fĂŒr die kleineren FĂ€cher geraten, desgleichen der Landesforschungsbeirat 2002 im CDU-regierten Baden-WĂŒrttemberg.

Über wissenschaftliche Fragen hinaus geht es dabei nicht zuletzt auch darum, wie angesichts der schwierigen finanziellen Lage der öffentlichen HĂ€nde in Deutschland der Bestand der kleineren FĂ€cher insgesamt garantiert werden kann. So waren nach Angaben der UniversitĂ€t Frankfurt 2004 insgesamt 29 Studierende in Judaistik im Hauptfach eingeschrieben. Die Hochschule musste jeden dieser Studenten mit Kosten von gut 16.100 Euro berechnen. Entsprechend dem geisteswissenschaftlichen Cluster, in dem sich das Fach Judaistik befindet, bekam sie aber nur 5.400 Euro je Student erstattet. Mit anderen Worten, sie muss einen erheblichen Mehraufwand finanzieren, den sie aus anderen Bereichen des eigenen Budgets zu decken hat. Das gilt fĂŒr die weitaus meisten der so genannten kleineren FĂ€cher. Die Zentrenbildung verschafft den UniversitĂ€ten also nicht zuletzt finanziell Luft, indem Synergien geschaffen werden.

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